Die Altersvorsorge 2020 akzeptieren, weil es noch schlimmer sein könnte?

(von Christiane Jaquet, Präsidentin von AVIVO Schweiz; übersetzt von RS)

Die Linke muss sich wieder auf das Grundsätzliche besinnen und in die Zukunft schauen, ohne in Angst vor Niederlagen zu fallen. Angefangen mit der Altersvorsorge 2020.
Seltsame Zeiten, in denen die Politiker bereit sind, Kröten zu schlucken, aus Angst, dass man ihnen Schlangen serviert! Es gibt nichts Schlimmeres als diese Unterwürfigkeit, denn es gibt keinen Fortschritt ohne Risiken. Die Gewerkschaften und der SGB, deren Instanzen sich hinter die Vorlage „Altersvorsorge 2020“ stellen, sollten das bestens wissen. Die Gesamtarbeitsverträge sind nicht vom Himmel gefallen. Hätten die Bauarbeiter das Recht auf die Pensionierung mit 60 bekommen ohne einen sehr harten Streik im Jahr 2002? Und gäbe es die Renten im Jahr 2017, wenn die AHV nicht eine der Forderungen im Generalstreik 1918 und ein harter Kampf im Jahr 1945 gewesen wäre?
Heute hat das Projekt Altersvorsorge 2020, das eine Flexibilisierung der AHV-Renten zwischen 62 und 70 Jahren vorschlägt, eine Schwächung der Gesamtarbeitsverträge zur Folge sowie eine Schwächung der Gewerkschaften bei den Verhandlungen. Es ist nicht auszuschliessen, dass die Gesamtarbeitsverträge wie diejenigen der Uhrenindustrie und des Metallgewerbes unter Druck geraten würden.

Verlängerung der Arbeitszeit und Senkung der Kaufkraft
Nachdem der Verteilungskampf um die Produktivitätsgewinne bei weitem nicht gewonnen ist und nachdem die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau Wut und Verzweiflung hervorruft, schlägt das vorliegende Paket einzig eine Verlängerung der Arbeitszeit der Frauen vor, eine wesentliche Sparmassnahme, sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Reiche und Arme gleichermassen zahlen müssen. Dazu kommt eine Senkung der Renten und eine Erhöhung der Beiträge. Man kann darin nur eine konzertierte Aktion sehen zur Senkung der Löhne und der Renten sowie den Versuch, die Idee einer Erhöhung des Rentenalters schmackhaft zu machen. Dies zusammen mit stetigen Angriffen gegen die Sozialversicherungen.
Gewiss, die linken Parlamentarier haben sich tapfer geschlagen. Ihr Wunsch, dass man ihre Anstrengungen anerkennt, ist verständlich. Aber heute lassen sie sich hypnotisieren durch einige Zückerchen, wie die 70 Franken mehr AHV für die neuen Pensionierten, was nichts anderes ist als die Verschleierung des Schlamassels. Denn das jetzige „Paket“, das von den Räten verabschiedet wurde, unterscheidet sich kaum vom „Paket Berset“, das seinerzeit massiv kritisiert wurde, vor allem wegen der Senkung des Umwandlungssatzes. Schlimmer noch, das „Paket“ ist ein massiver Verstoss gegen das Prinzip der Universalität der AHV-Renten, da diese unterschiedlich sein sollen für alte und für neue Rentner!

Die Initiative ergreifen
Die Linke muss sich auf Grundsätzliches besinnen und die Zukunft ohne Angst vor Niederlagen gestalten. Zum Beispiel die Gesamtarbeitsverträge verallgemeinern und besonders die Renten garantieren, indem man die so unsicher gewordene zweite Säule in die erste überführt unter Wahrung der erworbenen Rechte. Ein erfolgreiches Referendum ist ein Zeichen des Widerstands gegen das „jeder für sich“ und gegen die allgemeine Zerstörung der Sozialversicherungen. Lassen wir das nicht zu!

2 Gedanken zu „Die Altersvorsorge 2020 akzeptieren, weil es noch schlimmer sein könnte?

  1. Hedy Hubmann

    Als ehemalige Selbstständigerwerbende bin ich ebenfalls der Meinung – AHV stärken, zweite Säule in die erste überführen.

  2. Marco Medici

    Mir scheinen diese Zeilen der nationalen Präsidentin der AVIVO ausserordentlich wichtig. Zusätzlich stelle ich bei Linken immer wieder fest, dass sie in Ihrer Rolle als Regierungspartei wie in eine Zwangsjacke eingebunden sind. Visionäre Ziele sind so nicht mehr erreichbar, es bleibt pragmatisches Funktionieren auf der Basis momentaner Kräfteverhältnisse. Ziel jeder Rentenreform muss die Überführung der zweiten in die erste Säule sein. Die Rentenreform 2020 verlagert aber zusätzliches Gewicht in die zweite Säule, das Verhältnis zur ersten Säule wird noch unausgewogener.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert